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OFF TOPIC: Der Ur-Vater der Online-Dienste geht...

07.07.09, 11:45
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"CompuServe Classic ist offline."


Diese Nachricht wird vermutlich die überwiegende Mehrheit der heutigen Internet-Nutzer - falls überhaupt - nur als Randnotiz vernehmen.


Dabei ist der finale Todesstoß nach langjährigem Dahinsiechen das Ende des Vaters aller Online-Dienste - und eine bis dato unerreichten Koryphäe auf diesem Gebiet.

1979 bereits startete CompuServe in den USA und ermöglichte damals erstmals E-Mail-Verkehr zwischen Privatpersonen und recht bald auch erste Realtime-Chats und so genannte Foren - die Urform der Internet-Communities. Ende der 1980er Jahre wurde CompuServe auch in Europa populär. 100332,366 hieß meine User-ID, die in den 1990er Jahren dann auch zur - kryptischen - E-Mail-Adresse wurde: 100332.366@compuserve.com.


Die Foren waren das Herzstück des Dienstes. Sie waren stark themenorientiert, die User rekrutierten sich vornehmlich aus Fachpublikum. Kein Wunder - die CompuServe-Mitgliedschaft war verhältnismäßig teuer und der Zugang in Deutschland nur über eine Handvoll sogenannter Einwahlknoten möglich, die per Modem anzuwählen waren. Ich wohnte damals in Saarbrücken - der nächste Einwahlknoten war Frankfurt. Online zum Ferngesprächstarif. Der Begriff Flatrate war damals noch nicht existent und wohl nur in kühnsten Träumen vorstellbar.


Anfang der 1990er Jahre betrieb ich im Auftrag eines internationalen Computerkonzerns mehrere solcher CompuServe Foren. Über Befehle wie GO OS2UGER gelangten die User in solche Diskussionsbereiche. Computerbezogene Foren waren eine starke Domäne von CompuServe. Aber auch gesellschaftliche und politische Themen hielten Anfang der 1990er Jahre Einzug in CompuServe. DER SPIEGEL etwa errichtete hier seine ersten Online-Angebote, hier wurde SPIEGEL ONLINE geboren.

Die Debatten, die Diskussionskultur, das intellektuelle Niveau der Nutzerschaft - das zeichnete CompuServe stets aus. Eine Klasse, die in heutigen Web 2.0 Communities undenkbar erscheint.

Aber es half nichts. Nicht zuletzt eklatante Fehler im Management ließen CompuServe gegen Ende der 1990er Jahre den falschen Weg - einen Weg talwärts - einschlagen. Klar, Nachzügler AOL hat mit Boulevard- und Mainstream-Themen den Dinosaurier CompuServe glattweg aus dem Stand überholt. Aber CompuServe stand für deutlich mehr. Sich mit AOL messen zu wollen, konnte nur ins Desaster führen.


Die Versuche CompuServes, seine hochqualifizierten Foren ins inzwischen populär gewordene World Wide Web zu migrieren, raubten dem Dienst sein letztes Fünkchen Eloquenz. Was folgte waren lange, qualvolle Jahre des Siechtums.


Jetzt hat auch das ein Ende. Bye, bye CompuServe!


Carsten Müller